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Labournet Aktion vorerst gescheitert – Arbeitsgericht Gießen hält Zeitarbeitstarifverträge für wirksam

Mit Datum vom 14.02.2018 verkündete das Arbeitsgericht Gießen (Az. 7 Ca 246/17) sein Urteil über die Klage eines Leiharbeitnehmers, der vom 1. Februar 2017 bis zum 26. Juli 2017 bei Randstad, einem großen Personaldienstleister beschäftigt war. Auf das Arbeitsverhältnis fand der Tarifvertrag BAP/DGB inkl. der abgeschlossenen Branchenzuschlagstarifverträge Anwendung.

Der Kläger war während der Zeit seiner Beschäftigung ausschließlich bei einem Unternehmen der Metall- und Elektroindustrie in Hessen eingesetzt.
Mit seiner Klage machte er geltend, der BAP/DGB Tarifvertrag verstoße gegen EU-Recht und sei daher unwirksam, weshalb ihm rückwirkend die Vergütung eines Stammarbeitnehmers im Entleihbetrieb ab dem ersten Einsatztag zustehe. Diese werden nach den Tarifverträgen der Metall- und Elektrobranche bezahlt, sodass auch ihm die Differenz zu dieser Vergütung zustünde.
Beraten und unterstützt wurde er dabei von Professor Dr. Wolfgang Däubler bzw. der Labournet Initiative, nach eigenen Angaben ein Zusammenschluss von „gewerkschaftlichen Linken mit und ohne Job im weitesten Sinne“. (www.labournet.de/ueber-uns/)

Sie vertreten die Auffassung, Art. 5 der EU-Richtlinie 2008/104 EG, umgesetzt in deutsches Recht in Form des § 8 AÜG sehe eine Abweichung vom Grundsatz der Gleichbehandlung durch Tarifverträge nur dann vor, wenn diese „unter Achtung des Gesamtschutzes von Leiharbeitnehmern“ zustande kämen.
Nach Ansicht Prof. Dr. Däublers bzw. der Labournet Initiative sei der Gesamtschutz der Leiharbeitnehmer durch die Tarifverträge der Zeitarbeit nicht gewahrt weil diese nur zulasten der Leiharbeitnehmer, nach unten von dem gesetzlichen Gleichbehandlungsprinzip abwichen.

Mit dem Aufruf an LeiharbeitnehmerInnen, gegen ihre Arbeitgeber, den Personaldienstleistern Klage auf Equal-Pay Vergütung einzureichen und/oder für die Initiative zu spenden, beabsichtigt diese, die Problematik vor den Europäischen Gerichtshof zu bringen und rechnet sich dabei gute Chancen aus, der EuGH werde „dann mit hoher Wahrscheinlichkeit feststellen, dass der „Gesamtschutz“ der Leiharbeitnehmer durch die Leiharbeitstarife nicht beachtet ist.“ (www.labournet.de)

Dass Vorgehen ist zweifelhaft, die juristische Argumentation überzeugt nicht und Interessenten und Spender werden mit derlei Äußerungen über die Erfolgsaussichten der Initiative getäuscht. Letztlich sind diese wohl eher als gering einzustufen, aus rechtlichen und aus tatsächlichen Gründen.
Das liegt zunächst schon darin begründet, dass der „Gesamtschutz der Leiharbeitnehmer“ nicht definiert ist. Es ist schlicht unklar, was der EU-Gesetzgeber damit gemeint hat. Rechtswissenschaftlich ist in solchen Fällen Auslegung zu betreiben. D.h. anhand der Gesetzesbegründung, des Gesetzeskontextes oder bisheriger Rechtsprechung ist zu überlegen, was darunter erfasst wird. Dabei leuchtet ein, dass allein der Ausdruck „unter Achtung des Gesamtschutz“ auf eine Art übergeordneten, allgemein gültigen Schutz abstellt, mithin eine Art Auffangtatbestand gemeint ist, gleichsam eines sozialen Netzes unter das der Leiharbeitnehmer durch die Tarifverträge jedenfalls nicht fallen darf. Daher ist wohl hierunter lediglich dasjenige, generell geltende Arbeitsrecht zu verstehen, welches durch Tarifverträge nicht unterlaufen werden kann, sodass die EU-Richtlinie mit dem Ausdruck lediglich klarstellt, den Tarifvertragspartnern nicht mehr Freiheiten einzuräumen, als diese durch nationale Bestimmungen haben.

Wenn nun die Gleichbehandlung mit der Stammbelegschaft das erklärte Ziel der EU-Richtlinie ist (Art. 5 Abs. 1) und hiervon Ausnahmen zugelassen sind (Art. 5 Abs. 2-4), wie soll eine solche Ausnahme sonst aussehen, als eine Abweichung nach unten? Die einzige andere Möglichkeit wäre eine Abweichung nach oben. Das hieße dann, die Gleichbehandlung ist gesetzliches Ziel, nur ausnahmsweise dürfen Leiharbeitnehmer besser gestellt werden, als es die Richtlinie vorgibt. Das ist selbstredend unsinnig und führt den Arbeitnehmerschutz adabsurdum.
Bleibt im Ergebnis nur, dass die von der EU-Richtlinie vorgesehenen Ausnahmen eben doch eine Abweichung nach unten dulden, nämlich dann, wenn diese von Tarifvertragspartnern vereinbart werden. Das ist auch nachvollziehbar und bildet einen Grundpfeiler arbeitsrechtlicher Gesetzgebung, weil einem Tarifvertrag qua Gesetz eine gewisse Richtigkeit unterstellt wird. Dies deshalb weil ein Tarifvertrag bekanntermaßen ausgehandelt wird. In langen Verhandlungsrunden, manchmal begleitet von Streiks und medialem Getöse. Letztlich aber ausgehandelt, durch gegenseitiges Nachgeben und einer Kompromissfindung zwischen Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden.

Im Bereich der Zeitarbeit verhandelt die Tarifverträge der DGB. Ihm wird, nicht zuletzt von der Labournet Initiative und dem Verweis auf die Sendung „Die Anstalt“ vom 16.05.2017, vorgeworfen, die Interessen der Leiharbeitnehmer verraten zu haben. Würden die Gewerkschaften nämlich nicht mit den Arbeitgeberverbänden Tarifverträge für die Zeitarbeit aushandeln, bliebe es beim gesetzlichen Gleichbehandlungsgrundsatz, da eine Abweichung nur durch Tarifverträge möglich ist. Dass der DGB gleichwohl derlei Tarifverträge schließt, könne daher nur mit Eigeninteresse, im Hinblick auf eine angestrebte Tarifmächtigkeit begründet werden.

Dabei wird schlicht ignoriert, dass eine verordnete Gleichbehandlung keinesfalls zwangsläufig zu einer Besserstellung der Leiharbeitnehmer führt. Vielmehr werden die Arbeitgeber mehr denn je auf befristete Beschäftigung, Werkvertragskonstellationen oder Überstunden der Stammbelegschaft ausweichen. Schlimmstenfalls werden Unternehmen abwandern und Arbeitsplätze verloren gehen.
Auch eine gewisse Praxisferne und eine einsichtsresistente Vorstellung vom gewinnfixierten Arbeitgeber, wohnen dieser Betrachtung inne. Leiharbeitnehmer sind häufig ohne Ausbildung oder Facharbeiterabschluss und hätten mit diesem Status keine Chance auf eine Anstellung in vielen entleihenden Unternehmen. Durch Fleiß und Integrität haben sie durch eine Überlassung aber die Möglichkeit, sich zu beweisen. Dieser sog. „Klebe-Effekt“, arbeitsmarktpolitisch gewollt und durch Gesetzgebung unterstützt, funktioniert tatsächlich, was eine Vielzahl an Übernahmen zeigt.
Dass der DGB also Tarifverträge der Zeitarbeit verhandelt, führt nicht zu einer Schlechterstellung der Leiharbeitnehmer sondern vielfach dazu, dass sie überhaupt eine Beschäftigung haben.
Verkannt wird im Übrigen, dass für viele Leiharbeitnehmer das Problem einer Schlechterstellung gar nicht besteht. So berichtete die taz am 11.07.2017, dass im Bereich der Pflege Leiharbeitnehmer genauso gut oder besser bezahlt werden als Festangestellte von Kliniken und Pflegeeinrichtungen und sie darüber hinaus günstigere Arbeitszeiten hätte, weshalb sie lieber als Leiharbeitnehmer tätig sind. Diese Entwicklung beschränkt sich nicht nur auf die Pflege. In Zeiten des Fachkräftemangels können Arbeitnehmer häufig überhaupt nur über bessere Bezahlung und angenehmere Arbeitsbedingungen gewonnen werden, weshalb bereits das Marktprinzip für höhere Löhne sorgt.

Es kann überdies gerade durch die – von Prof. Dr. Däubler und der labournet Initiative – angegriffenen Tarifverträge zu höheren Löhnen für Leiharbeitnehmer im Vergleich zu Festangestellten kommen. Nämlich dann, wenn Branchenzuschlagstarife greifen. Verträge hierzu wurden parallel zu den Zeitarbeitstarifverträgen von iGZ/BAP und DGB geschlossen und sehen für bestimmte Branchen einen Zuschlag, abhängig von der Einsatzdauer vor. Dem BZ TV für die Metall- und Elektroindustrie nach, wird ab der 6. Einsatzwoche der erste Zuschlag fällig, ab dem 16. Einsatzmonat liegt der Zuschlag bei 65%. Er ist auf den Grundstundenlohn zzgl. weiterer etwaig anfallender Zuschläge zu gewähren, wodurch deutlich wird, dass in dieser Größenordnung Leiharbeitnehmer häufig den Lohn eines Festangestellten bereits überschreiten. Nicht umsonst wurde entleihenden Unternehmen die Möglichkeit eingeräumt, eine Deckelung auf den Lohn des Entleihbetriebs vorzunehmen, damit Leiharbeitnehmer „nur“ so viel erhalten, wie die Stammbelegschaft.

Von Prof. Dr. Däubler und der labournet Initiative weiterhin unberücksichtigt bleibt, dass die Tarifverträge neben arbeitnehmerorientierten Entgeltfortzahlungsbestimmungen auch Sonderzahlungen enthalten, die allein an die Beschäftigung als Leiharbeitnehmer anknüpfen.

Im Ergebnis ist festzuhalten, dass die Initiative die Situation der Arbeitnehmerüberlassung und den Wirkungskreis der Zeitarbeitstarife einseitig darstellt. Konsequent arbeitet man sich an der negativen Seite ab ohne positive Aspekte zu berücksichtigen, gleich so als könne es nur eine Sichtweise geben.
Das ArbG Gießen hat dem nun Einhalt geboten, wenngleich das Gericht von vornherein wohl nur Durchgangsstation war. Das Verfahren, wie auch die anderweitig angestoßenen Prozesse werden mit Interesse weiterverfolgt, die Feststellung eines Verstoßes der Zeitarbeitstarifverträge gegen EU-Recht wird hingegen nicht befürchtet.

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